S Achkaazl


Eine Geschichte von Adolf Lienert für die Graslitzer Nachrichten (Bild aus den Graslitzer Nachrichten)

Als ich ein junger Mann und frisch verheiratet war, erwarb ich mir mit Hilfe meiner Mutter ein Häusel und baute es für unsere Bedürfnisse um. Als ich meinte, fertig zu sein, war doch noch etwas zwischen Hintertür und Pumpenstock, worüber die Hausfrauen täglich ihren Mund wetzten, weil dort jeder, der hinaus ging Wasser zu pumpen, mit haftendem Schmutz am Schuhwerk zurückkam. "Wenn sich doch jeder richtig abputzen täte!" hieß es.

"Hundert Fußabstreifer könnte man vor die Türe legen und keiner putzte seine Schuhe sorgfältig ab!" schallte es durch das Haus.

Diese Art Störung der häuslichen Stille ließ mich meine Gedanken überprüfen, was am Umbau noch fehle. Bald wußte ich es: Der kleine Hofplatz müsste gepflastert sein. Stimmt genau; bloß woher nehme ich jemanden, der Pflastern kann? Da erwies sich wiedermal Gottfried, der neue Konsumlagerhalter als Nothelfer. Im Gespräch mit ihm ließ ich meinen Gedankengang durchblicken.

"Einen Pflasterer bräuchten Sie? Da wüsste ich einen, der ihren Hofplatz pflastern könnte", sagte Gottfried in seiner angenehmen, ruhigen Art und sah mich prüfend an, als wollte er sich meines Ernstes vergewissern, ob ich wirklich meinen Plan durchführen wolle. Darauf sprach er so beiläufig einen Namen aus: " 's Achkatzl".

"Aber Herr Gottfried, mir ist es wirklich ernst um einen Pflasterer!" "Ich habe sie schon verstanden, 's Achkatzl ist ja ein Pflasterer. Die Leute sagen halt Achkatzl, eigentlich heißt er Pflasterer Richard oder nach seinem Vater Luxhannes Richard, der auch ein Pflasterer war und sein Handwerk ausgeführt hat. Schreiben tut er sich Lorenz. Er wohnt irgendwo am Berg droben, nahe am Wald. Oft kommt er in den Konsum herein. Manchmal bleibt er auch längere Zeit weg. Er ist ein bißel ein Eigener. Wenn sie wollen, sage ich ihm, dass er zu ihnen kommen soll. Er ist ein fleißiger Arbeiter."

Gottfried vergaß nicht darauf, er sagte es dem Achkatzl und nach ein paar Tagen stemperte ein fremdes Mannsbild hinter unserem Haus bei der Pumpe herum. Von Gestalt war er klein und schmächtig, im allgemeinen ein unansehnliches Gestell. Doch als ihn meine Frau ansprach, verjüngte sich sein ältliches Gesicht und seine müden Augen hellten sich auf.

"Ich söll da pflastern", stotterte er, "Ist das wahr? Der Gottfried vom Konsum fragte mich. Wenn es wahr ist, müsste ich erst heimgehen und meine Kreuzhaue holen, die brauche ich dazu. Eine Schaufel, ich meine schon, habt ihr selber." Das war für ihn, der wenig spricht, eine lange Rede und er war froh, als er alles gesagt hatte. "Sind sie der Herr Lorenz?"

Das war ein Knall. Die Anrede kam überraschend und ungewohnt. Es war jetzt als recke er sich und seine Augenlider hoben sich noch einmal in die Höhe und ließen sein banges, ärmliches Gesicht zu schönstem Glück strahlen. Jubelte sein Herz? Es kam selten vor, dass ihn jemand mit "Herr" ansprach. Er galt immer nur als einer von den drei Pflasterbuben. Auch noch, als er seine Lehre hinter sich gebracht hatte und schon im Straßenbau eingesetzt war. und man ihn hätte Pflasterer Richard rufen können. Wonnevoll neigte er untertänig sein Herz dem zu, der ihn als seinesgleichen beachtete. Jetzt lag wohltuender Stolz in seiner Antwort: "Ja, der bin ich, Richard Lorenz." Er fügte sicherheitshalber gleich hinzu: "Mir braucht keiner zu helfen, ich mach meine Sach' allein." Und schon warf er sein Röcklein vom Leib, griff nach dem Schubkarren und der Schaufel, die er im Gerede an den Ziegenstall hatte lehnen sehen, bat um die Kreuzhaue und fing schon mit der Arbeit an.

Meiner Frau gefiel das eifrige Männlein in seinem ernsten Fleiß und war besorgt um eine gute Verpflegung für ihn. Am Vormittag brachte sie ihm Brot und Milch und zu Mittag bekam er das Essen, wie wir es haben. Dafür zollte er ausgiebig Lob über Güte, Vielfalt und Menge: "Dös is ja alle Tag wie Hochzeit!" Nach einigen Tagen gab sie dem bescheidenen Pflasterer jeden Abend ein Bündel Essen mit nach Hause. Er hatte ihr treuherzig erzählt, zu Nacht esse er gewöhnlich ein paar Erdäpfel, manchmal kalt, nichts weiter. Es sei denn, er hatte am Heimweg durch das Fuchsloch einige Pilzlein gefunden, dann machte er sich gebratene Schwämme daraus.

In den Pausen am Vormittag bemerkte meine Frau, dass er kaum einmal sein Brot alleine verzehre. Immer liefen Hühner heran, denen er ständig Brotkrümel zuwerfe. Dabei achtete er streng darauf, dass keine Henne einer anderen was wegnehme. Auch mit den Vögeln, die in den Kirschbäumen saßen, unterhielt er sich, nur gebrauchte er andere Namen als wir. Er sagte: Schnarrer, Finkmas, Ammäsch, Sprochmaster und dergleichen. Meiner Frau erzählt er, dass er ein Waldhaaz sei und einmal tief im stillen Wald ein winziges Eichkätzchen habe schluchzen gehört. Es weinte bestimmt über den Verlust seiner Mutter. Das tat ihm so leid. Darum hob er es aus dem Moos und nahm es mit heim. Mühselig zog er es mit der Flasche auf. Dabei hatte es sich an ihn gewöhnt. Es war sehr gelehrig und ließ sich viel beibringen. Es hörte auf einen Pfiff. Einmal kam er heim, da war das Eichkätzchen weg. Er klagte es seinem Kameraden, dem Veitn Seff, der auch ein Waldhaaz war wie er. Und der ging mit ihm suchen. Sie haben gepfiffen und gerufen und kamen bis Hochgarth. Doch gefunden haben sie das Eichkätzchen nicht. Am Heimweg nahmen sie die Richtung über das Haar, das ist ein berüchtigter, sumpfiger Fleck mit großen Löchern, die mit dunklem Wasser gefüllt sind. Ich wollte gerne wissen, wie tief so ein finsteres Wasser sei, krempelte die Hose auf und stieg wißbegierig in die Brühe. Anfangs ging es gut. Auf einmal war der Boden unter meinen Füßen weg und ich versank. Gerade noch meine Pfeife hielt ich über Wasser, sonst sah mein Kamerad nichts von mir, an welcher Stelle ich mich befand. In seiner Angst um mich griff dieser nach einem Dürrling, deren mehrere umherlagen und stieß ihn gegen die Pfeife. Ich spürte es und klammerte mich in meiner Todesangst an das Holz. Der Veitn Seff, mein bester Kamerad, zog mich an dem Dürrling in die Höhe und heraus. So hat er mir das Leben gerettet. Mein nasses Anziehzeug hängten wir über ein kleines Fichtchen und warteten, bis alles trocken war. Dann gingen wir heim. Meine Pfeife kann herausholen wer mag, ich steige in kein solches Loch mehr, das habe ich mir geschworen.

Meine Frau horchte dem Sonderling gerne zu, weil alles, was er erzählte, ganz und gar ehrlich, schlicht und offen war.

Allmählich wurde der Freiplatz kleiner und die Pflasterung größer, bis sie eines Mittags vollendet in schönem Schimmer dalag. Ja, ich hatte vergessen zu erzählen, woher wir die Pflastersteine nahmen - von Oberförster Silbermann, der den Granitsteinbruch am Holzhau leitete. Er ließ sie uns anfahren.

Nun stand er darauf, der Pflasterer Richard und schien nicht glauben zu wollen, dass er fertig sei. Er schaute ernsthaft nach hinten, nach vorn, ringsum und gab schmunzelnd an die umstehenden Hauseigentümer sich selbst ein Eigenlob: "Ein schönes Hofplatzel habt ihr da gekriegt. Jetzt ist es aus mit dem Lamentieren, dass Schmutz ins Haus getragen wird!" Darüber erheitert stolzierten die Hausfrauen selbst über das Pflaster und fanden nirgendwo einen Stein des Anstoßes. Froh und zufrieden lobten sie Richardls Arbeit. "Nun sag uns, was Du dafür kriegst!"

Ein treues Lächeln strich über Achkatzls Gesicht. Plötzlich wurde ihm bang. Es kam ihm, dass er etwas sagen muss. Ach, einen großen Haufen Arbeiten hatten seine Hände leicht geschafft, aber schwere Worte aus seinem Mund, das war harte Arbeit. Am Klappern der Lippen machte sich seine Anstrengung bemerkbar, als er anfing, seinen Geist in Silben zu formulieren. Jedes Wort tropfte unverfälscht aus seinem Herzen: "Ich habe dürfen die ganze Zeit ohne Einsprüche meine Arbeit verrichte, ich wurde alle Tage mit reichlichem, gutem Essen bedacht, ich konnte jeden Tag hierher, hierher zu meinem Arbeitsplatz kommen. Ich ging keiner Sorge entgegen und hinterließ kein Leid. Mir ging es all' die Weil' gut. Ich sag' Vergelt's Gott! Verlangen kann ich nichts." Wir hörten zu und wunderten uns, aus dem Mund eines einfachen Menschen solch schlichte Vornehmheit zu spüren.

"Das sind Ansichten eines Sonderlings", sagte meine Mutter, "Den darfst Du auf keinen Fall ohne Entgelt gehen lassen!" Meine Frau, die das Richardl schon besser kannte, sagte: "Dem seine Worte sind unumstößlich. Der nimmt kein Geld. Vielleicht kan man ihm anderswie eine Freude bereiten", und fragte ihn geradeaus in dieser Richtung. Da drehte sich das Achkatzl zu ihr um und geriet mit seinem Blick durch das Fenster in die Küche, wo auf der Kredenz der Messingreif an Mutters alter Weckeruhr funkelte.

"Weil ihr so gute Leut' seid zu mir, trau ich mich es sagen: dort drin der Wecker ist meine Freud'", stammelte er.

Meine Mutter holte den Wecker und übergab ihn dem eigenartigen Pflasterer. Tränenklar glänzten seine Augen, als er das Kleinod in beiden Händen hielt. Wir beschenkten ihn noch oft, wenn er mit einem Schüsselchen frischer Pilze aus dem Walde kam oder ein blaues Kännlein selbstgepflückter Schwarzbeeren brachte. Er kam gern zu uns. Sonderbar war es, dass er immer um das Haus herum zur hinteren Türe ging und auf dem Pflaster stand, wenn er demütig ans Fenster klopfte.


KAPITEL II

Einer unserer Nachbarn war der Schmausen Gustav, ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, hurtig in seinen Bewegungen, wendig mit den Augen, überaus redselig und mit Wangen, deren Rötung niemals verloren ging. Schmausen Gustav wußte über alles Bescheid, was sich im Ort tat; auch vom Kleinsten. Da war es unvermeidlich, dass er spitzeln kam, was hinter unserem Haus sich tat. Sein lockeres Nachschauen war aber auch immer mit einer ungezügelten Beurteilung des Ganzen verbunden, die mit sorgfältiger Artikulation der hochdeutschen Sprache gekonnt über seine Lippen plätscherte, obwohl er im allgemeinen nur der Mundart mächtig war.

Als er schon am Rückweg war, traf ich ihn um das vordere Hauseck schwenkend, wo uns das Achkatzl nicht mehr hören konnte. Da sprach er mich an: "Mit dem Achkatzl hast Du Dir einen fleißigen Arbeiter eingestellt. Halte Dir ihn nur, er läuft leicht davon, wenn ihm jemand in sein Arbeiten dreinredet. In der Weise gerät er seiner Mutter nach, dem Pflasterer Weiberl, das hat auch auf keinen Menschen gehorcht. Zum Beispiel, wenn sie an heikler Stickerei arbeitete, ließ sie sich von nichts stören, bis sie abschneiden konnte, das heißt, fertig war. Ihre Nachbarn erzählten von ihr, wenn sie selbigesmal in ihrem hochschwangeren Zustand auf die Leute gehorcht hätte, wäre es nicht zu dieser Frühgeburt gekommen. Nein, sie musste ihren Willen haben, mit den anderen Weibern in den Wald zu gehen und einen hochaufgepackten Buckelkorb voll Schalken (Stockholzabschläge) und Kuttern (Rinden von gefällten Bäumen) holen. Heimzu glitt sie auf einem glitschigen Schieferstein aus und fiel schwergewichtig zu Boden. Da war es geschehen. Die Weiber hatten zu tun mit ihr und dem Büber, das zu früh das gedämpfte Licht des Waldes sah. Es ist halt dann ein bisserl zurückgeblieben. Es hat länger gebraucht als die anderen, bis es sich entwickelt hatte. Das hat sich immer bemerkbar gemacht. Nach seinem Vater, der ein tüchtiger Pflasterer war, ist er getauft worden und hat später auch dessen Beruf erlernt. So heißt es heute eben Pflasterer Richard oder Luxhannes Richard genau wie sein Vater und vielleicht um ihm gegenüber besser unterscheiden zu können auch 's Achkatzl.

Ihr Hütterl hatten sie ganz oben am Berg am Maurerweg. Dort standen drei Häuserl. In jedem wohnte ein Maurer. Das mittlere gehörte dem Luxhannes, das war der Großvater vom Achkatzl. Es waren ordentliche Leute, gutmütig und kaum einmal hat man ein ungehöriges Wort aus ihrem Mund gehört. Und hilfreich waren sie zu einem jeden, der es gebraucht hat.

's Achkatzl selbst hatte noch eine Schwester, die nach Hochgarth heiratete. Und zwei Brüder: den Franz Lorenz und den Josef Lorenz. Der Franz hat in einem der Häuser in Herberich gewohnt, der Josef hat von seinen Eltern daheim das Häuserl gekriegt. Der ist aber bald gestorben, weil er vom Ersten Krieg eine schwere Verwundung mit heimgebracht hatte. Er hatte einen gerngesehenen, rechtschaffenden Sohn, auch mit Namen Richard, diesem wurde im Zweiten Krieg auch eine hinterlistige Krankheit aufgebürdet, an der er kurz darauf in jungen Jahren erlag. Neben seiner Schwester in Hochgarth hat sich 's Achkatzl am Berg allein erhalten. Er heiratete ein einfaches Weiberl und hatte mit ihr ein Kind. Es war ein Maderl, "So schön wie ein Doggerl", sagte er überall und hatte es lieb, dass er es gar nicht mehr aus der Hand geben wollte.

Beim Stahlerbauern hatten sie einen kleinen Raum bekommen, darinnen haben sie eine Zeitlang gewohnt. Dort hätten sie es auch schön gehabt. Alle zwei Tage kam der Firwian Tonl mit seinem Truhenwagerl, das von einem kleinen Pferd gezogen wurde und hat das Brot vom Proster Karl, dem Bäcker vom Hof im Tal, heraufgebracht, so dass die Leute nicht mehr so tief hinabgehen mussten, wenn sie das wichtigste Nahrungsmittel brauchten. Fröhlich singend oder pfeifend kam der Kutscher daher und langte das Brot ins Haus. Seine Fuhrwege erweiterte er allmählich bis nach Neudorf und Hochgarth. Im Sommer ist dann auch der Holorez, der Grünzeughändler vom Hof, mit seinem Pferdegespann gekommen und hat neue Erdäpfel gebracht. Nach hergebrachter Sitte rief er: "Erdäpfel, Erdäpfel weiße, der Metzen kostet nur ein paar Kreuzer!" Wann Gurken am Markt waren, brachte er auch Gurken und Kohlrüben, Salat und Kraut und auch ein bissel Obst. Und so war das Leben der Berger schöner als früher.

Als aber der Stahlerbauer Herberichsleut zu sich hineinnahm, musste der arme Pflasterer Richard aus dem engen Stüberl ausziehen. Bei der Kraut Emma bekam er gutmütig eine kleine Kammer, die sich nicht heizen ließ. Dankbar zog er dort ein. Da verließ ihn seine Frau mit ihrem Bündel; kehrte heim zu ihren eigenen Eltern nach Markhausen und kam nie wieder zurück.

So weit hatte der Schmausen Gustav erzählt, als jemand nach ihm rief: "Gustav, Gustav, wo steckst denn?" "Doo!" gab Gustav zur Antwort. Da kam Franz, sein Schwiegersohn ums Eck und keuchte: "Schwicher, mach schnell, bei der Rach Anna ihrer Ziege geht's Kitzen an und sie ist allein. Die Blase ist schon da! Gustav eilte hinüber zur Rach Anna, um in ihren Ziegenstell Geburtshelferdienste zu leisten. Gustav wurde zu allem geholt, wo es an Rat und Tat mangelte. Manchmal unterlief ihm dabei auch ein ärztlicher Kunstfehler, wie damals bei mir, das zu erzählen, ganz gut daherein passt, ohnen meinen lieben Nachbarn etwas anhängen zu wollen.

Als ich als Neunjähriger oder Zehnjähriger vom Fahrrad gestürzt war, das nicht einmal meines war, brüllte ich vor Schmerz im linken Arm. Meine Großmutter, mit der ich alleine daheim war, rief den Schmausen Gustav um Rat. Eilig legte er sein Werkzeug aus der Hand und kam herbei zu mir Brüllenden. "Das werden wir gleich haben!", sagte er mit überlegter Sicherheit, "der hat seinen Arm ausgekugelt." Und drückte mich in die Fäuste er herbeigelaufenen anderen Nachbarn, so dass ich mich mit meinen großen Schmerzen nicht zu rühren vermochte. Nur der linke Arm blieb frei hängen. Den fasste nun Gustav mit derben Händen, führte mit ihm eine Bewegung nach oben aus und drehte ein- zweimal den Arm im Schwung im Kreis herum. Schon wollte er triumphieren, weil ich keinen Laut mehr von mir gab. Die Nachbarfäuste hielten mich gottlob noch im Griff, obwohl mein Gebrüll erloschen war. Da schaltete sich Großmutter blitzschnelles Reaktionsvermögen ein und erkannte, dass mich das heftige Drehen meines linken Armes in eine schmerzbedingte Ohnmacht versetzt haben dürfte und ich darum still geworden sei. Sie fühlte meinen Puls, sagte, dass er schlage und ich noch Leben habe. Der Karlwenz-Alfred musste umgehend einspannen, um mich ins städtische Krankenhaus zu bringen. Der rumpelnde Truhenwagen brachte mich auf der langen Strecke wieder zu Bewußtsein. Jeder Stein, über den die Räder hüpften, gaben mir einen derben Stoß zum aufbegehrenden Schmerzensschrei. Solcherart von Hindernisfahren erreichten wir das Ziel, wo der Bruch des linken Schlüsselbeins festgestellt wurde und uns erklärt, dass das Kugeleinschnappenwollen eine schmerzsteigernde Fehlleistung war. Darauf verblieb mein linker Arm sechs Wochen in einem Gipsverband, den ich mit sichtlichem Stolz trug, weil keiner meiner Kameraden einen solchen Panzer vorzeigen konnte und mir neidisch darum waren.

Dem Schmausen Gustav sein Schwiegersohn, der Toffl Franz, der auch vom Berg stammt, musste ein bissel was gehört haben, was wir vorher miteinander geredet hatten, der Gustav und ich, weil der Franz meinte, er könnte vom Achkatzl ein wenig fortsetzen: "Vom Kraut hat der Richard dann auch wieder nausmüssen, weil sie ihre Kammer selber gebraucht haben. Der Richard hat sich aber auch nicht gewehrt und ist ärmer geworden, wie er sowieso schon war. Er hat nimmer gewusst wo er hingehen soll. Er hatte keinen Besitz gehabt, keine Familie, keine Arbeit und kein Daheim nimmermehr. Wenn es ihm zu schwer werden wollte, schlich er in den Wald, suchte sich Beeren und aß auch frisch geschobene Schwammerle, wie man anderswo gefallene Birnen aufklaubt und sie sich schmecken lässt. Unter dem feierlichen Gewölbe der Hochwaldgipfel wurde es ihm dann leichter. Er atmete den Duft des Fichtenharzes und genoß die Gesänge der vielerlei Singvögel, dazu den Spaß der Eichkätzchen, wenn sie spielerisch stammauf, stammab sich fröhlich neckten.

Das eine oder anderemal traf er ein Geschwisterpärchen, das in ihre Kännchen die glanzvollen Schwarzbeeren sammelte und denen er beim pflücken half, damit sie die Gefäße eher voll brachten. Darüber freuten sich beide. Einem heimwärts gehenden Burschen, der sein Schwämmetüchlein strotzend voll Pilze hatte, schenkte er als Erinnerungsstück seines Sucherglücks als Schmuckstück obendrauf einen ansehnlich großen Steinpilz, den er, das Achkatzl eben an seinem Schwämmefleckerl gefunden hatte. Und als er auf dem Rückweg dem alten Kampl Weiberl begegnete, wie es sich gebückt an einem beladenen Buckelkorb mühte und an beiden Händen je einen dicken Fichtenast nachzog, sagt er: "Geh Reserl, lass Dir ein wenig helfen!" und übernahm das Ziehen der Dürrlinge. "Bist ein guter Mensch", antwortete Reserl darauf. Und 's Achkatzl war wieder frohen Mutes als er zurückkam, weil er sein Leben wieder in den Glanz von Sonne, Mond und Sternen eingeflochten fühlte.

 

KAPITEL III

1934 an einem blendendhellen Sommermontag kratzten an der Innenseite der linken Haustüre des Konsumhäusels am Hof die zwei schweren Riegeln rückwärts, so dass gleich darauf die niedergedrückte Klinke des hölzernen Seitenflügels einwärts geöffnet worden ist. Es war sechs Uhr morgens. Die Frau Oberpostmeisterin trat mit ihrer großen Tasse dampfenden Kaffees in der Hand heraus in die Absicht, Rum für ihre Kaffeebrühe aus dem Laden zu holen.

In eben diesem Augenblick schritten drei Männer vorüber, die zur Arbeit gingen. Mit kräftiger, lauter Stimme unterhielten sie sich lebhaft vom gestrigen Hebeschmaus Am Berg beim Pflasterer Richardl. Jedes Wort war zu verstehen und erregte die Neugierde einer alten Frau. Sie hörte von einer großen Beteiligung von Kuchenschmaus und Kaffeetrank, Musikgenuss und allgemeiner Heiterkeit. Das Gespräch war solch ein fröhlicher "Dischkursch", dass beim Zuhören die Oberpostmeisterin gänzlich auf ihren Rum vergaß, den sie in ihrem Kaffee zu trinken pflegte. Und weil sie die Gedanken an den Hebeschmaus den sonnigen Vormittag nicht aus dem Kopf verlor, schickte sie zum Karlwenz Alfred, er möge sie mitnehmen, wenn er am Nachmittag auf "Dem Berg" das Brot ausfahre.

Und so traf es ein. Der Karlwenz Alfred stopfte zwei Säcke Heu und legte sie an den hinteren Schuber seines Truhenwagerls, so dass die in schönem Kleide aufgestiegene Frau Oberpostmeisterin weich saß und das Holderdiepolter des steinigen Weges gütig gedämpft empfand.

Beim Pfeiffer Manuel bog der Kutscher auf die Kaiserstraße ab, die immer noch nichts anderes als ein steiniger Feldweg war. Er führte in schmaler Spur quer über "Den Berg". Seinen Namen bekam er von jenem Ritt des Volkskaisers Josef II, der mit seinem Gefolge im Jahre 1766 über die Pfaahut am Schaffermichelberg Richtung Frühbuß nahm. Damals standen die Leute am Weg und knieten nieder zum Gruß, was der Kaiser mit manchem goldenen Taler lohnte, was Generationen nachher unvergesslich blieb.

Wie der Karlwenz Alfred zum Fuchsloch kam, holte er ein Weib ein, das in einem Buckelkorb trug, was es "Am Hof" eingekauft hatte. Bald war es in eine rege Unterhaltung mit dem sonderbaren Fahrgast verknüpft, was den Heimatkenntnissen der Oberpostmeisterin vorteilhaft zustatten kam:

"No Heilicherä, zän Pflasterer Richardl sein Häusel wolln Sie foän? Lohnt sich än des? Do sängä sä fei nix als ä Dach onä Tiän. Un ä Fänzä hot's a kaas dinnä. Owä än Haffn Staamauern liegn dort rimm, großä un klaanä. Die größtä und höchstä un dickstä saamt d' Müllägaass aa. Zwischen dä Müllagass und derä Staamauer war ä klas Eckel, des kan Menschn ghört hot. Dort ist Arnika gewachsen, bei uns sagt man Khannesblumen, Steine sind herumgelegen und einige Schwarzbeer und Greißelbeersträucheln sind dort gestanden, aber gewachsen ist dort eigentlich nichts. Und ich ich schon sagte, es hat niemanden gehört.

Eines Tages ist der Richard mit einem Schubkarren gekommen, hatte ein Kistel und eine Schaufel aufgeladen und fing dort auf dem Eckel an zu graben. Ja, er hat sogar in die Steinmauer hineingegraben, hat ein tiefes, breites Loch gemacht. Später hat er dann noch sein Öfel gebracht und so eine Liege - mir sogn Faulänzer - und ein Tischel und keiner hat recht gewusst, was hier vorgehen soll. Wir haben es später doch herausgebracht. Das Richardl hat unter freiem Himmel gehaust. Einmal gegen Abend sind ein paar Berger Bossen und junge Männer gekommen und haben dort ebenfalls herumgearbeitet. Am Tag darauf waren sie wieder gekommen und nach wenigen Abenden konnte man sehen, dass hier ein Häusel entstehen soll. Das Häusel wurde genau über dem Loch aufgerichtet, wo der Richard eine Grube gegraben hatte. Später wurde daraus ein Keller. Die Kerle haben gemauert und gezimmert, es waren ja auch richtige Handwerker dabei. Das Holz zum Dachstuhl haben sie wahrscheinlich aus dem Wald geholt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das irgendwo gekauft haben könnten. Wo es soviel Bäume gibt, fragt man nich tlange. Auch sonst hatten sie alles, was sie gebraucht hatten: Bretter, Zement, Dachpappe und Näger und halt alles. Am Berg waren ja ein paar Leute, denen es nicht so schlecht erging und die waren wahrscheinlich ein bissel spendabel. Das Zusammengreifen hat allen einen richtigen Bergerspaß gemacht, und am gestrigen Sonntag war es dann so weit, dass der Hebeschmaus gefeiert werden konnte. Aus dem Hebeschmaus ist dann ein richtiges Volksfest geworden. Vom ganzen Berg sind die Leute entzot kommen. Einige Weiber haben Kuchen und Kaffee gebracht und ein paar Flascheln Bier für die Männer. Der Illner Ernst und der Manuel Alfred muszierten und der Dampfschürer Gustl, das war der Vetter vom Illner Ernst, ist zum Fotografieren gekommen. Er hatte wohl noch einen großen Fotoapparat, dennoch hat er nur einen Teil der Anwesenden auf das Bild gebracht. Jeder bekam später eine Aufnahme. Und so richtig zfoon ist es um den Kuchen und den Kaffee gegangen. Jeder wollte daran teilhaben. Kein Brösel und kein Schlückel war übriggeblieben. Gestern dürfte nirgendwo Kirwa gewesen sein, so dass jeder vom Berg Zeit für das eigene Achkatzlfest aufbrachte.

Heute ist die Arbeit weitergegangen. Ein neues Fenster haben sie noch gebracht, wer das gemacht hat, blieb verschwiegen. Und eine Türe haben sie selbst gezimmert. So wird es nicht mehr lange dauern, bis das Häuslein gänzlich fertig ist. Elektrisches Licht hat das Achkatzl nicht und Wasser auch nicht, aber das stört ihn nicht. Ich glaub, er fühlt sich ganz glücklich, zumal ihm heute die Gemeindeverwaltung mit Spaß entgegengekommen ist. Als sie dem neuen Bauwerk eine Anschrift zuteilen wollte, gab sie ihm scherzhafterweise die Hausnummer 1000. Unser Richard Lorenz nahm es mit Stolz und glücklicher Zufriedenheit in Empfang.

Das alles hatte das Weib mit dem Buckelkorb erzählt, als der Karlwenz Alfred die Frau Oberpostmeisterin auf der Steinmauer abgeladen hatte und er auf der Maurergass entlang über den Berg fuhr und seine Brote und Semmel an den Mann brachte. Als er zurückkam, waren seine Körbe leer und er überlegte, welchen Rückweg er nehmen könne. Doch sein Fahrgast äußerte den Wunsch, noch ein Stück aufwärts zu fahren und dort an dem schönen Platzel "Bei der Schupp" zu wenden, dann könnten sie beim Winkelhöferwirtshaus vorbeifahren.


LETZTES KAPITEL - AACHKATZLS ENDE

Das alles hatte das Weib mit dem Buckelkorb erzählt, während Alfred entlang der Müllergass über den schönen Berg fuhr und seine Brotlaibe und Semmekloppen froher Laune in die aufgehaltenen Schürzen der wartenden Weiberleut fallen ließ. Als er mit leeren Brot- und Semmelkörben zurückkam, wer er sich nicht ganz sicher, welchen Weg er zur Rückfahrt wählen solle. Da gab die resolute Oberpostmeisterin Aviso: ein klein wenig noch bergauf zu fahren bis zur "Schupp", dort an dem lieblichen Plätzchen zu wenden und abwärts den steinigen Weg zum Wirtshaus zu nehmen, wo Rast zu einem Glas Rotwein ländlich angenehm machen wird. Alfred war es zufrieden, sagte zu seinem Pferdchen "Wio!" und ließ es mit nickendem Kopf bis zur "Schupp" ziehen.

Hier war es, wo vor 26 Jahren die damalige lebensfrohe Ehefrau das dritte Mal Abschied nahm von ihrem Gatten. Sie hatte ihn damals ein Stück seines Weges begleitet, als er wiedermal die weiten Wälder durchwanderte über Frühbuß, vorbei an einsam verstreuten Gebirgsorten nach Schmiedeberg, woher er gekommen war. Von seinem Geburtsort wollte er sich nicht trennen. Sie aber wusste, dass er mit seinen achtzig Jahren den Fußmarsch zehnstundenlang nicht noch einmal bewältigen werde können und horchte bei der "Schupp" lange auf seinen Juchschrei, den er vom Spitzberg herab als letzten Gruß für sie ertönen ließ. An jedem Heimweg hielt sie ihre Tränen nicht zurück. Herzergriffen weinte sie für sich dahin. Die Erinnerung brachte jenen letzten Abschied bis ins kleinste Stück zurück, und es war, als müsste sie hier auf den Jauchzer vom Spitzberg herab warten.

Bergabwärts pfiff Alfred lustig und sprach zwischendurch mit seinem Pferdchen "Wüßta!" und "Hott!" und als er vor dem Wirtshaus hielt, kam die Wirtin heraus, ihm zu sagen, sie brauche heute kein Brot, das nächste mal wieder. "Aber uns bringst Du ein Glaserl Rotwein für die Frau Oberpostmeisterin und für mich!" Da erst gewahrte sie den seltsamen Fahrgast und eilte behende ins Haus, um es dort zu verkünden. Da drängten sich durch die Tür mehrere Männer mit halbleeren Biergläsern heraus und erhoben einen gröhlenden Chor: "Wir freuen uns ihrer hochgeschätzten Gegenwart!" hoben ihre Gläser und riefen mit steigender Stimme "Prost! Prost! Prost! Frau Oberpostmeisterin!" Die Menschenkennerin ließ sich's gefallen, dankte den angeduselten Männern mit erhobenem Rotweinglas und einem angedeuteten Schluck. Plötzlich schrak sie auf. Unter den Männern tauchte in schauspielerischer Bewegtheit jemand auf, den sie für das Achkatzl hielt. Eine große rote Kragenbinde schlang sich um seinen Hals, einen viel zu großen Rock, in dessen Ärmel er seine Hände verbergen konnte, kleidete seinen Oberkörper, eine Chaplinhose wedelte um seine Latschen und auf dem Kopf saß schief eine schwarze Melone versehen mit einer hohen, weißbraunen Hahnenfeder. Da und dort war verschmierter Ruß in seinem Gesicht. Die Männer hatten ihn mit Kümmel und Korn zu ihrer Unterhaltungsfigur zugerichtet, so dass er jede ihrer angeforderten Unsinnigkeiten lallend ausführte. Liebedienerei war es. Die Frau Oberpostmeisterin kannte die Situation. Erbarmnis nahm ihr Herz gefangen. Sie griff zur Diplomatie: "Herr Lorenz, ich lade Sie ein, mit mir zu fahren. Setzen sie sich bitte vorne mit auf!"

Achkatzl wusste nicht, wie ihm geschah. Trotz seinem fuseligen Zustand spürte er aber durch, dass seiner Person eine herausragende Ehrung widerfahren sollte und folgte gehorsamst der Einladung. Alfred, der Fuhrmann, konnte sich nicht sofort erklären, was damit Frau Oberpostmeisterin bezweckte, folgte aber vorerst ihrer Wendung, machte Achkatzl an seiner Seite Platz und hielt mit der linken Hand den schwankenden Kumpan auf dem Bock fest. Er kutschierte sein Gefährt um und brachte den Besitzer des Häuschens Nummer 1000 laut Anweisung zum Ausschlafen in seine Stube. Damit endete die Nachfeier des Hebeschmauses.

Als der Krieg begann, mussten alle waffenfähigen Männer einrücken. Anfangs war's Achkatzl nicht dabei. Er mähte ab und zu bei der Andl Marie ein wenig oder dengelte Sensen und hatte da und dort Kleinzeug umgekramt, dass die Hauswirtschaften, in denen kein Mannsbild mehr daheim war, nicht der Unordnung verfielen. Er hatte dafür etwas Essen bekommen und zum Mitnehmen ein paar Erdäpfel.

Später hatte man das Richardl nirgendwo gesehen. Seine Freunde sahen in seinem Häuschen nach, weil dort schon lange kein Rauch mehr in die Höhe gestiegen und sein Gesangel und sein Pfeifen nirgendwo zu hören war. Er schien ausgewandert zu sein. Nach mehreren Wochen sprach es sich herum, dass er wohin in die Arbeit verpflichtet worden sei. Als er nach vielen Monaten wiedermal auf kurze Zeit daheim war, fiel er duch seine saubere Kleidung auf. Er erzählte, dass er bei der Arbeit krank geworden war und wochenlang im Lazarett zubringen musste. Später hat er wieder fortgehen gemusst und ich halte es für möglich, dass er nimmer wiedergekommen ist. Aus glaubhaftem Munde hörte ich aber, dass Pflasterer Richardl vor dem Kriegszusammenbruch im Krankenhaus der Bezirksstadt gepflegt worden ist, bis ihn der Herrgott zu sich rief. Nach dieser Aussage müsste das Achkatzl auf dem Silberbacher Friedhof begraben worden sein. Doch da von dort alle Leute vertrieben worden sind und niemand den Friedhof pflegte, wurde eine Wildnis daraus. Fichtensamen flogen an und wurden in raschem Wuchs zu hohen Bäumen. Unkraut und Gebüsch verschiedener Art wucherten über Gräber und Hügel und ebneten alles ein, was früher Anlage war. Nur die Häupter einzelner ganz großer Grabsteine schauten noch schief und geneigt über die mannshohen Wogen. Arme Leute hatten keine steinernen Grabeinfassungen. Ihre Hügel waren rasch in die Oberfläche getreten und zuerst nicht mehr auffindbar. Solltest Du noch einmal in die Heimat kommen, so findest Du für Deine Blumen nicht mehr das Grab des einstigen guten Menschen, der's Achkatzl war.

 

Herzlichen Dank sei allen gesagt, die mir bei der Auffindung von Richard Lorenzs Lebenslauf halfen.

Adolf Lienert