ORIGINALE VON DAHEIM

von Emil Sattler, Adolf Lienert, E. Günzl

Alles hat sich in den letzten 50 Jahren von Grund auf gewandelt. Nach der Jahrhundertwende und bis nach dem ersten Weltkrieg war die Not unter der Arbeiterbevölkerung noch sehr groß. Es gab viele Familien, die nur das allernotwendigste für ihren Lebensbedarf decken konnten. Besonders war das in Orten der Fall, wo es wenig Industrie gab. Dies war das Erz-gebirge beiderseits der Grenze. Zwar war es im Sächsischen etwas besser, doch auch da war oft Armut zu Hause. Schlimm war es deshalb, weil die Familien vielfach eine zu große Zahl Kinder hatten. Unter diesen Umständen konnte es nicht ausbleiben, dass den Kindern nicht die notwendige Schulbildung zuteil werden konnte. Es sind damals Einzelne von zu großen Familien geistig zurückgeblieben. Das schlimmste war, dass diese Unglücklichen soch oft selbst überlassen waren. Ihren Lebensunterhalt konnten sich die Bedauernswerten nur durch Betteln erwerben. Nicht genug damit, wurden sie oft noch verspottet und zur Gaudi benützt. Ich will nur einige solcher bedauernswerter Opfer hier aufzeichnen.

DER VENANZ
Er lebte in Silberbach am Berg, stammte aus Sauersack und verdiente sein Brot für sich und seine Frau mit dem Leierkasten. Der Wenanz war trotz seiner geistigen Beschränktheit für seinen Vorteil gewitzt. Von den Kindern, auch oft von den Erwachsenen wurde er gerufen: "Wenanz, pfeift dein Vugl?" Darauf hat Wenanz geschimpft: "Du bist schlacht Kal, schlacht Kal." Worauf es erst recht rund ging. Wenanz verkehrte viel beim Förster in Nancy, wo er öfters Verschiedenes bekam. So war er dort wieder einmal auf Betteltour. Beim Förster lag ein verendetes Reh im Hof. Als der Wenanz das sah, fragte er: "Herr Förster, gan Sie mir das Reh?" "Zu was willst es denn?" "Kos brachn, kos brachn", gab er zur Antwort. Der Förster erlaubte es. Wenanz schleppte das Reh nach Hause, schlug Rehposten Kugeln in dasselbe, als wenn es geschossen wäre. Dann trug er es nach Graslitz zu einem Ge-schäftsmann, den er kannte. "Der Herr Förster schickt ihnen ein Reh." Der Geschäftsmann war ver-wundert. "Ich habe doch kein Reh bestellt." Neugierig fragte er: "Was soll es denn kosten?" Wenanz gab zur Antwort "Sieben Kronen". Der Preis war so gering, dass der Mann ohne jede Hemmung das Reh für den verlangten Preis abnahm. So weit so gut.

Nach Jahr und Tag hatte der Förster bei dem Geschäftsmann zu tun. Dieser fragte ihn: "Herr Förster, wenn Sie wieder einmal ein Reh haben, ich nehme es gerne." Der Förster war natürlich verwundert: "Ja, haben Sie denn schon einmal eines gehabt?" Es stellte sich nun heraus, dass der Wenanz das verendete Reh verkauft hatte. Aber es hatte weiter keinen Schaden angerichtet. Der Mann bekam nie wieder einen so billigen Wildbraten.

Als dem Wenanz seine Frau in der Nacht starb, sie schliefen in einem Bett, was damals nichts unge-wöhnliches war, stand der Wenanz auf, nahm die tote Frau auf den Buckel und trug sie auf den Dach-boden, legte sie ab und ging wieder schlafen.

Ein andermal brachte er von seinen Geschäftsgängen ein Huhn mit nach Hause. In der Nacht war dasselbe verendet. Wenanz warf es kurzerhand auf den Misthaufen. Zwei Jungen sahen das, holten sich das Huhn und verpackten es in unzählige Bogen Papier, einen Bogen über den anderen. Dann verschnürten sie das Paket und schrieben auf dasselbe die Adresse: An Herrn Wenanz Pitlak, hier. Dann warteten sie den Briefträger ab und übergaben ihm das Paket mit der Bitte, er möge es beim Wenanz abgeben. Josef, der Briefträger, war immer zu einem Spaß aufgelegt und machte mit.

Die Jungen besuchten darauf den Wenanz und warteten der Dinge. Bald darauf kam auch schon der Postbote, langte das Paket herein und verschwand wieder. Wenanz aber tat nicht, was die Buben wollten, sondern warf das Paket in eine Ecke, das war nicht nach ihrem Geschmack. Sie bohrten, der Wenanz soll doch nachsehen, was darin ist. Was wird es denn sein, vom Herrn Förster? "Mach es auf", drängten die Jungen. "Na, wenn ihr net nochgebts, mach ich's halt auf." Gespannt warteten die beiden. Wenanz wickelte eine Hülle um die andere von dem Paket, bei der letzten streckte die Henne ihre Beine in die Höhe. Die Jungen hatten schon darauf gewartet, sprangen nun von ihren Sitzen auf und nahmen Reißaus. Wenanz krächzte hinter ihnen her. Das war das Krautkaibl und das Klementsef-ferl. Wütend warf er dann die tote Henne wieder auf den Mist.

MEHR VOM VENANZ (von Adolf Lienert)
Venanz war ein Bettler. Einer von jenen, wie wir sie heute nicht mehr kennen. Damals war es so, dass einzelne Menschen das Betteln als ihren Beruf ausübten. Und niemand sah etwas Verwerfliches in dieser Art des Broterwerbes, im Gegenteil, diese Bettler schienen notwendig zu sein, um an ihnen die eigene Mildtätigkeit an den Mann bringen zu können und außerdem um ein Beispiel der Anspruchslo-sigkeit jederzeit zur Hand zu Haben, auf das immer hingewiesen werden konnte, wenn wir Buben gar zu gefräßig waren. Es gab darum auch kaum jemanden, der unsere Bettler von der Tür wies. Die Ga-ben, die sie erhielten waren je nach Tages- und Jahreszeit und nach der wirtschaftlichen wie charak-terlichen Seite des Spenders verschieden. Die Heller waren rarer als die Backenen Knödel, die ihnen die Weiberleute zulangten.

Einmal fand der Druckerhanselferdinand den Venanz, der aus Sauersack stammte und nach seinem "Werktag" immer dorthin zurückkehrte, bei der alten Mühle gegenüber dem Lodnfranz auf einem Stra-ßenstein sitzend, stöhnend und sich windend. "No wos host denn, Venanz?" sprach ihn der Ferdinand mitleidig an. "I, i, i" sagte der Venanz, der ein ergötzlicher Stotterer war "ho, ho, ho a Supp gassn." Die Sauersäcker sagten nicht gegessen, sondern gassn. "No Venanz, dös tut doch net weh!" verwunderte sich Ferdinand. "I, i, i, ho, ho, ho, nnuch ana gassn", stöhnte Venanz. "No Venanz", vermeinte der Druckerhanslferdinand, der nun ahnte, dass mehr dahinter steckte, "zwa Suppen, die kannst du doch brauchn!" Mit schmerzvoll verzerrtem Gesicht stammelte unser Sauersäcker: "I, i, ich, ho, ho aam nuch ana gggassn; u, u, uu, n, n, nuch ana, u, uu, uuu, nu, nuch ana un da Mühlanna hot ma itza a n, n, nuch ana gabm, u, u, un do giehts nnnimma." Da musste der Ferdinand denn doch lachen, obwohl der Zustand des Venanz ihm eigentlich hätte Erbarmen entlocken können, weil dieser vom "Hölzernen Poppa" bis zur Mühlanna eine Suppe nach der anderen hatte essen müssen. Und das waren nicht wenige und auch nicht lauter "Grappensuppen".

Doch das war nicht immer so. Zur Faschingszeit einmal, da Schneematsch schuhhoch auf der Straße quatschte, klopfte Venanz bei der Wenlemma im Grund an. Die war ob ihrer guten Küche bekannt. Die Emma hatte gerade eine Pfanne duftender, dampfender Backene Knödel aus der Röhre gezogen. Sie reichte ihm eines der knusprigen, fetttriefenden Dinger mit den Worten: "S is fei nuch haaß, verbrenn dich neet!" Das Knödel war arg heiss. So heiss, dass es der Venanz nicht in der Hand erlitt und es hurtig der anderen Hand übergab. Die erlitt es auch nicht und klatschte es zurück in die andere Hand. Hastig schwenkte es diese abermals in die andere Hand. Dabei brummelte er ein übers andere Mal "Sakrament, sakrament, sakrament!". Mit dem Wechseln von einer Hand in die andere zog er auch immer ein Bein ums andere in die Höhe, schüttelte jeweils die freien Finger, blies daran, leckte die Spitzen ab und führte einen Kampf mit dem feuerheissen Klatscherl, bis ihn seine Kräfte verließen. Schon warf er grimmig die Gabe von einem Handteller in den anderen. Im Rhythmus seiner Bewe-gungen dankte er dafür: "Vergelts Gott! Vergelts Gott, Tausendmal vergelts Gott!" Da ging ihm seine Geduld aus. Er schmiss mit brennenden Fingern das Backene Knödel auf den Boden und zahnelte die Emma an: "Do fraß dein Drack selwa!" Die Wenl Emma hat sich selbigsmal fast gekugelt vor Lachen.

Lachen musste man häufig über den Venanz. Einmal, als er sich im Mark oder auf der Farbmühle verspätet hatte, war es schon Nacht, als er auf den Hof kam. Nun wollte er entgegen seiner Gewohn-heit im Ort bleiben. Wer ließ ihn über Nacht? Da und dort mochte er es schon versucht haben unter-zuschlupfen. Anscheinend war sein Bemühen umsonst gewesen, weil er richtig niedergeschlagen zum Karlwenzjohann (ihr kennt ja das Wirtshaus am Hof, das auch eine Fleischerei dabei hatte) mit letzter Hoffnung kam. Es saßen noch einige Kartenspieler in der Gaststätte, als er dort fragte, ob er über Nacht bleiben könne. Mehr aus Spaß denn aus reinlicher Vorsorge sagte der Korlwenzjohann zu dem allseits Bekannten: "Über Nacht willst bleiben? Geh, Venanz, du hast doch Läus!" Da hättet ihr den Venanz sehen sollen. Diese Zumutung traf sein ganzes Selbstbewusstsein, er warf sich schier in die Brust um voller Stolz den Vorwurf abzuwehren: "A, a, aanzicha wennst findst, k, k, konnst se behaltn!"

Ja so waren unsere Bettler. Ob der Venanz gestorben ist, weiß ich nicht, leben wird er kaum mehr.

DER VEITNACHTEL
Ein anderes Original war das sogenannte "Veitnachtel". Ein Junggeselle, zwar etwas beschränkt, aber doch mit einer großen Portion Schlauheit ausgestattet. Da er sich selten einmal sattessen konnte, besuchte er sehr oft Bekannte und Nachbarn immer zur Mittagszeit. Wenn dann das Essen aufgetra-gen wurde, stand er auf mit den Worten: "Wenn's nicht nachlasst, setz ich mich halt mit her." Und er nahm dann beim Tisch Platz. So gelang es ihm des Öfteren ein Mittagessen zu ergattern. Oder er ging zur Erntezeit zu einem Bauern und sagte: "Wieviel Kartoffeln gibst mir gutwillig? Wennst mir kei-ne gibst, mause ich dir welche" (stehle ich dir welche). Meist gaben ihm die Bauern etwas und so brachte er allmählich seine Wintererdäpfel zusammen.

Einmal hatte er eine Bürgschaft für 5000 Kronen unterschrieben. Die Sache kam heraus und der Rich-ter hielt ihm vor, was er da getan hatte. Er sagte: "Herr Richter, für 20 Kronen schreibe ich meinen Namen wie oft". Denn er hatte für diese Unterschrift 20 Kronen erhalten.

DER BETTELGRAF
Ein besonderes Original war der Bettelgraf in Silberbach. Er wohnte im Armenhaus und hatte die fixe Idee, dass er ein Graf sei. Beinahe jeden Tag zog er eine andere Uniform an, welche in allen mögli-chen Ausführungen im Armenhaus hingen; er hatte sie alle geschenkt bekommen. Am liebsten trug er eine Veteranenuniform. Dieser Hut mit der langen Feder hatte ihm den Scherznamen "Bettelgraf - Feder vom Hut" eingetragen. Wenn wir Kinder, oft auch die Erwachsenen, riefen, wurde er fuchsteu-felswild. Er bettelte nicht, sondern trieb nach seiner Vorstellung Steuern ein. Niemals betrat er ein Haus, das war unter seiner Würde. Er stand beim Fenster, klopfte mit dem Stock an die Scheibe und verlangte seine Steuer. Hatte er einmal bei einer Familie zwei Kreuzer bekommen, verlangte er diesen Betrag immer, gab ihm die Familie dann einmal nur einen Kreuzer, ging er nicht früher, bis der zweite Kreuzer bezahlt war. Es konnte vorkommen, wenn er das Verlangte nicht bekam, dass er die Fenster-scheiben einschlug.

Rechnen konnte er, auch gut schreiben und das schon seit seiner Jugend. Er war nämlich Gerichts-schreiber. Bei einer Rodelfahrt ist er verunglückt und hat sich den rechten Arm gebrochen. Durch ei-nen Fehler beim Einrichten ist der Arm steif geblieben, er konnte darum sein Amt nicht mehr beklei-den. Das hatte er sich so zu Herzen genommen und wurde wunderlich. Weil er keine Verwandten hatte, kam er ins Armenhaus.

Einmal passierte es, dass der wirkliche Graf Nostitz ausgefahren war. In Nancy sah der Diener des Grafen den Bettelgrafen. Er machte seinen Grafen darauf aufmerksam: "Herr Graf, da drüben steht der Bettelgraf." Graf Nostitz gut gelaunt, gab seinem Diener den Auftrag, er solle doch den Bettelgra-fen zur Kutsche rüberholen.

Der Diener überbrachte dem Bettelgrafen die Botschaft. Dieser aber war zu stolz: "Nein, der hat auch nicht weiter her zu mir, als ich zu ihm." Der Grafendiener hat die Antwort wörtlich an den Grafen wei-tergegeben. Graf Nostitz schmunzelte und ließ dem Bettelgrafen 5 Gulden übermitteln, was dieser auch dankend annahm.

Noch viele solcher Schwänke könnte man von diesem Original erzählen.

Ergänzung zum Bettelgrafen von E. Günzl aus Schwaderbach:
Wer von uns aus der Generation des ersten Weltkrieges hätte ihn nicht gekannt, den Bettelgrafen von Silberbach. Regelmäßig jede Woche einmal besuchte er seine Gönner in den Nachbarorten Silber-bachs und da er immer bescheiden und stumm nur durch sein Erscheinen in der Tür ein Almosen heischte, ward ihm gern gegeben auch dort, wo Armut selbst daheim war. Nie mehr betrat sein Fuß eine Schwelle, an der er derb angefahren oder gar schroff abgewiesen worden war.

Mit seinem etwas schlurfenden Gang, den dunklen alten Kleidern mit dem einen kraftlos herabhän-genden Arm im schlenkernden Ärmel, dem krankhaft gelben Gesicht und auf dem Kopfe einen schwarzen, breitkrämpigen Hut mit einer langen Feder, so sehe ich ihn noch heute vor mir. Seine dunklen Augen, von der breiten Krämpe des Hutes überschattet, blickten tieftraurig irgendwohin.

Jede Woche, sozusagen fahrplanmäßig, erschien er zu Mittag in dem Gasthause "Zur Steig" in Schwaderbach. Still setzte er sich an einen der Tische und kaum hatte er Platz genommen, so stürzte auch schon der gutherzige Wirt, Josef Kurz, mit einer dampfenden Suppe herbei, diese mit einem Löffel vor den Grafen hinstellend. Der begann, als hätte er die Suppe bestellt so selbstverständlich schien das, zu essen. Und wieder erschien der Wirt mit einem Glase frischen schäumenden "Egerer", das seinen Platz neben der immer weniger werdenden Suppe fand. Als der Teller leer war, trug ihn der Wirt in die Küche, ging dann zu einem Regal mit einem kleinen Kistchen und Schachteln und ent-nahm hier eine jener langen, dünnen und schwärzlichen Zigarren, die das Entzücken aller alten öster-reichischen Raucher waren - eine Virginia. Mit einer Grandezza, wie sie einem wirklichen Grafen ge-genüber angebracht gewesen wäre, überreichte er sie dem Bettelgrafen, ihm gleichzeitig Feuer bie-tend.

Da zog es wie heller Sonnenschein über das gelbe Gesicht des Bettlers und wie aus verrosteter Kehle kam stockend ein "Dan-ke, dan-ke sehr" über die bebenden Lippen. Und als die ersten blauen Rauchwolken des würzigen Krautes über dem alten Hute mit der Feder zusammenschlugen, da saß nicht mehr da ein elender, unglücklicher Krüppel, sondern ein Mensch, der selig und unendlich glück-lich war.

Die Zigarre ist ausgebrannt. Mit dem Strohhalm der Virginia zwischen den Zähnen schlurft der Bettel-graf zur Tür und als er auf die Straße tritt, haben wieder tiefe Traurigkeit und Elend von seiner Miene Besitz ergriffen; es ist der alte, unglückliche Bettler von vordem, der da seine Bittgänge fortsetzt.


DER TÖPPER UND DER BLOWE FAR(B)SEIFERT
Diese beiden Originale waren stets Rivalen. Der Töpper, mit richtigem Namen Anton Keil, war ein starker Mann, nur etwas beschränkt, aber auch auf seine Art schlau. Er kannte jeden Namenstag auswendig. Immer hatte er die Tasche voll Zettel vom Abreisskalender. Wenn er eine Stube betrat, hat er jeweils von dem Kalender, der an der Wand hing, einen Zettel abgerissen. Der Töpper ging meist barfuß, nur im Winter hatte er öfters Holzpantoffel an. Immer trug er eine blaue Schürze, oft auch kei-nen Rock.

Er hatte folgenden Tick. Wenn man sagte: "Töpper, lass es donnern", dann hob er die Faust und ließ sie auf den Tisch krachen, indem er schrie: "Krich, krach, Busch!" Dann verlangte er natürlich seinen Lohn. Die größte Angst hatte er vor den Gendarmen, am meisten vor dem Wachtmeister Augustner. Man brauchte nur zu sagen: "Töpper, es blitzt!", dann fing er schon an zu rennen. Damals trug die Gendarmerie die Pickelhauben mit Messing verziert. Die Gendarmen ließen ihn ja in Ruhe und nie-mand wollte etwas von ihm.

Noch einen Tick hatte der Mann. An jedem Montag klopfte er die Gasthäuser nach Tropfbier ab. Die Wirte wussten schon, dass er deswegen kam, sie hoben es ihm auf. An diesen Tagen hat er dann gesoffen, was nur hineinging. Er wollte niemand etwas davon abgeben.


DER BLOWA FAR(B)SEIFERT
Das war dem Töpper sein Gegenspieler. Der Mann war aus Eibenberg. Das Gerücht ging von ihm, dass er mondsüchtig sei. Das heisst, wenn der Mond scheint, läuft er in der Nacht herum, sogar auf den Dächern. Wenn aber jemand auf ihn ruft, wacht er auf und fällt vom Dach herunter. Ob es stimmt? Es wird nur eine Mär gewesen sein. Dieser Mann hatte X-Beine , so schlurfte er herum. Geld verlang-te er, wenn jemand sagte: "Seifert, mach blowa Far(b)". Dann wackelte er mit seinen X-Beinen; oder er soll das Kunzmannhaus machen. Wieder wackelte er mit seinen Beinen.

Auch der Seifert ging oft nach Tropfbier. An einem Montag war es dem Töpper gelungen, als erster in Eibenberg beim Wagnerwirtshaus zu sein, um einen ganzen Waschtopf voll Tropfbier zu empfangen. Er setzte sich nieder, ein Glas in der Hand, den Topf mit dem Bier zwischen den Beinen und schöpfte aus dem Vollen. Ein Glas ums andere schüttete er in sich hinein. Da ging die Tür auf, und der blowa Far(b)seifert kam herein. Als er nun seinen Rivalen sah mit dem vielen Bier, war er sehr verärgert. Doch was nützte es, er war eben zu spät gekommen. Er sagte: "Töpper, gib mir a Halbe". Der Töpper: "Wenn Du das Kunzmannhaus machst". Was nützte es, er musste auch das machen. Der blowa Far(b)seifert wackelte mit den Beinen, dann bekam er das zweite Glas. Alles andere trank der Töpper allein. Hierbei konnte man feststellen: So dumm waren diese Menschen gar nicht, wenn es um ihren eigenen Vorteil ging.

DER DÜRRE ECKL
Das war ein kleines dünnes Männchen. Seine Mutter eine große stattliche Frau. Der Robert, wie der Eckl hieß, hat sehr stolz getan. Zu keiner, wie immer gearteten Arbeit, konnte er gebraucht werden. Er bildete sich aber ein, er sei ein guter Schauspieler. Immer war er gut gekleidet. Wenn einmal eine Theatergruppe kam, damals zogen die Wandertheater in die Orte, dann machte der Robert immer einen Statisten. Nachher dachte er, das kann ich auch. Er eröffnete in Eibenberg beim Füdö Reserl, in der Scheune ein Kindertheater. Am Sonntag ließ er ausrufen: "Große Kindervorstellung, Direktor Ro-bert Eckl, Eintritt 1 Kreuzer". Wir gingen nun dahin, neugierig der Dinge, die kommen sollten. Ein Vor-hang war da, vor diesem einige Bänke, worauf wir saßen. Es klingelte dreimal, dann erschien der Herr Direktor Eckl. Das Stück begann. Er sang: "Ich bin der Stiefelputzer, Glacce dran an der Hand". Das sang er dreimal, dann verschwand er wieder. Das Theater war damit aus. Es war nur einmalig, eine Wiederholung fand nicht statt.

DER RINGKAMPF MIT DEM OCHSENSEFF
An einem Sonntag im Gasthaus. Der Eckl Robert war da und auch der Ochsenseff, sogenannt, er war zu seiner Zeit ein sehr starker Bursche, konnte mit den stärksten Männern ringen und nicht bezwun-gen werden. Es wurde folgendes mit diesem Seff vereinbart, er soll mit dem dürren Eckl ringen und sich nach so und so viel Gängen bezwingen lassen. Dann haben sie Robert aufgestachelt, er soll mit diesem Mann ringen; wenn er ihn bezwingt, bekommt er einen Preis. Nach langem war er einverstan-den. Beide zogen sich die Röcke aus. Der Seff hätte den Eckl auf die Hand nehmen können und wie-der hinsetzen. Jetzt aber stellten sich beide in Positur. Seff in Hünengestalt mit Bizeps, Eckl mit sei-nem Kindergesicht und Armen wie Zaunstecken. Ein Tusch von einer Ziehharmonika ertönte, dann los! Beim zehnten Gang, saß der Eckl auf dem Seff, der mit einer Schulter am Boden lag. Jetzt wurde Eckl angefeuert: "Du bezwingst ihn, noch eine Runde!" Bei der elften Runde lag der Seff mit beiden Schultern am Boden. Ein Hurra für unseren Eckl ertönte. Robert warf sich stolz in die Brust: "Jetzt will ich meinen Preis!" Es wurde ein Olmützer Käsl geholt. Der Eckl stellte sich hin und wartete. Es wurde das Käsl an seinen Rock gehängt. Als er den Geruch verspürte, wachte er aus seiner Verzückung auf, riss das Käsl herunter und trat darauf herum und rief: "Ich will meinen Preis!" Aber es war kein Preis für ihn da.

Noch eine Begebenheit über den Eckl:

Der Weltkrieg 1918 brachte es mit sich, dass viele Menschen in die Munitionsfabriken gebracht wur-den. Es gingen nur Transporte von überall aus der Österreich-Ungarischen Monarchie nach Wöllers-dorf, Blumau, Felixdorf ab. Alles in der Nähe Wiens. Es waren in der Hauptsache Frauen und Mäd-chen, ganz wenig junge Männer, viele Tschechen, die nicht im Heer dienen wollten, setzten sich in diese Gebiete ab. Was sich alles in diesen Betrieben abgespielt hat, ist ein Kapitel für sich. Darüber könnte man ganze Bände berichten. Aber es handelt sich hier nur um den Eckl Robert. Wieder einmal sollte ein Transport abgehen, auch der Robert hat sich ohne Wissen seiner Mutter dazu gemeldet. Ein Witzbold hat ihn wohl auf die Liste gesetzt. Der Robert war aber wirklich zu nichts zu gebrauchen; es ist kaum zu beschreiben, wie das Männchen aussah. Vielleicht 145 cm groß, dünn, sein Gesichtchen wie ein Gnom.

Man hätte ihn beinahe mit dem Atem umblasen können. Als nun der Transport abgehen sollte, hat es natürlich seine Mutter erfahren. In der Nacht vorher, hat sie ihn in seiner Kammer eingesperrt, weil sie ihm die Schmach ersparen wollte. Robert aber rückte in der Nacht aus, es gelang ihm durch das Fenster zu entkommen. Seine Mutter merkte es erst, als es zu spät war, und Robert ging mit dem Transport ab. Er kam in die Munitionsfabrik Blumau. Nach 14 Tagen war er wieder zu Hause. Er trug den Arm in der Schlinge. Wenn er gefragt wurde, was er habe, gab er zur Antwort, er sei verwundet worden. Nach dem wie und wo, erklärte er, in Blumau sei ihm ein Geschoss auf den Arm gefallen. Er trug fortan eine Soldatenmütze und den Arm in der Schlinge. Erst nach Kriegsende hat er diese Zei-chen abgelegt. Einmal traf ich ihn in Eger, er erkannte mich und sagte: "Ich kann leider nicht grüßen, wegen meines Armes". "Was hast du denn Robert?" Darauf gab er mir die Antwort: "Ich bin verwundet worden". "Wo?" fragte ich "in Blumau", war die Antwort. Das war der dürre Eckl. Es gab noch sehr viele von diesen bedauernswerten Menschen. Während des ersten Weltkrieges sind die meisten an Hunger elend zugrunde gegangen.


DER TSCHUNKELREITER
In Silberbach war noch so ein Original, das erwähnt werden muss. Das war der Höfergroße, genannt, der Tschunkelreiter. Diesen Namen hatte er deshalb, weil er im Krieg 1866 bei Königgrätz verwundet wurde. Die Blessur war nicht schlimm, aber er zehrte davon. Dieser Mann, früher ein gestandener Bauer, ergab sich dem Trunke. Er hatte immer zwei Krücken und simulierte den Verwundeten, obwohl er ganz gut laufen konnte. Seinen Hof hat er durchgebracht, war im Armenhaus und ging betteln. Das Erbettelte hat er in Alkohol umgesetzt. Wenn er durch den Ort mit seinen Krücken humpelte, riefen ihm die Kinder, oft auch Erwachsene, zu: "Höfergroßer, Tschunkelreiter, bist 66 auf der Tschunkel grittn" (auf einem Schwein geritten). Dann legte er los, schimpfen konnte er wie ein Rohrspatz. In den obszönsten Ausdrücken, die sich wirklich nicht wiederholen lassen, schrie er was erkonnte. Wenn ihn einmal niemand beachtete, sagte er zu den Kindern: "Buum, schert mich a weng." Wir taten ihm meist den Gefallen, dann zog er los und war in seinem Element. Es kam auch vor, dass er eine Krücke in die Hand nahm und auf uns losging. Wenn er glaubte, dass er nicht gesehen wurde, nahm er auch beide Krücken unter den Arm und marschierte los. Für ihn passte das Sprichwort: Hätte ich früher gewusst, dass Wasser so gut ist, so hätte ich meinen Hof noch. Ein solches Original sollte nicht ver-gessen werden.

DER SCHWEDEN-FRANZ AUS SCHWADERBACH
Auch er wohnte im Armenhaus, aber er ging nicht betteln, nein, das wollte er nicht. Er konnte weder lesen noch schreiben - trotzdem fühlte er sich als Geschäftsmann. Er handelte mit Russeln. Das wa-ren kleine Sardinen in Holzfässchen, die in Essig eingelegt waren; diese holte er über die Grenze aus Sachsen und verkaufte sie. Den Erlös vertrank er. Seine Kleidung war sauber, immer hatte er eine blaue Schürze um. Wenn er ins Gasthaus ging, setzte er sich nicht, sondern stand an der Theke und verlangte "ein Tleines", das sollte heißen, ein kleines Bier. Da stand er, ein Bein vor das Andere, den Daumen und Zeigefinger in die Westentasche gesteckt, ganz Gentleman. Einmal hat er mir auch so "ein Tleines" angeboten, als ich es nicht akzeptierte, nahm er dasselbe und schüttete es auf den Bo-den. Er war lange beleidigt. Das Originellste aber war: Er gewann einmal in der Lotterie und machte einen Terno. Dafür bekam er einige hundert Gulden, ein ganz schönes Sümmchen. Was tat er damit? Sich ein schönes Leben machen? Weit gefehlt! Er stellte Arbeiter ein und ließ diese Steine klopfen. Er ging an diesen Männern auf und ab, befahl, was sie tun sollten. Er fühlte sich als Fabrikant. Immer sprach er: "Ich bin Fablikront", weil er nicht Fabrikant sagen konnte. Als er sein Geld ausgegeben hatte, nahm er sein Geschäft mit dem Russelnverkauf wieder auf. Er war wieder der alte Schwe-denfranzi. Am schlimmsten wurde es mit ihm, als einmal ein slowakischer Pfannenflicker in den Ort kam. Er hieß Pikelack und nahm ihm seine Lebensgefährtin ab. Der Pikelack konnte die Hedwig bes-ser mit ihrem Kind ernähren. Franz hat gebettelt, sie solle wieder zu ihm kommen, sie hat jedoch ab-gelehnt. Da ging er auf den Pikelack los. Der aber war stärker als der Franz, er hat ihm mit einem Prügel den Arm zerschlagen. Nun war er ein Krüppel und weinte. Oft sagte er: "Die Etwich hat theinen Mann mär und das Thind hat teinen Vater mär". Es ging darauf schnell mit ihm bergab. Sein Stolz war zerbrochen.

DER REISSIG JOSEF
In Schwaderbach war ein Mann, der nicht ganz bei Trost war. Er war schon einmal in der Anstalt in Tobschan (Wiesengrund) für Geisteskranke. Reissig war ein gutmütiger harmloser Mann. Er ist aus der Anstalt entwichen und ging zu Fuß nach Hause. Da er keine Bleibe hatte, verbrachte er die erste Nacht in der Kirche. In der Frühe haben sie ihn in einer Bank schlafend gefunden. Da er aber harmlos war, er lachte meist, haben ihn verschiedene Geschäftsleute und Landwirte zu kleinen Botengängen benützt. So einmal die Gastwirtin Wahlich Natalie. Diese war krank und sollte eine Medizin bekom-men. Sie gaben das Rezept dem Reissig, er sollte in der Apotheke in Klingenthal die Medikamente holen. Die Zeit verging, aber kein Reissig kam. Die Natalie wartete auf ihre Medikamente. Endlich kam der Reissig, aber ohne Medikamente. Er sagte, er habe ein schönes Kundekupperl gesehen und das für das Geld gekauft. Er hatte also statt der Medikamente ein Hundehalsband gebracht. Was sollte sie tun? - Noch viele solche harmlose Sachen hat er angestellt.

Am meisten beim Schuldiener Höfer. Auf diesen hatte er eine Stinkwut, weil er ihn öfters unter die Hühnersteige hielt, so dass die Hühner dem Josef etwas auf den Kopf fallen ließen. Dann kam er oft schimpfend zu uns und nahm ein Messer: "Das schieb ich dem Höfer noch in den Bauch, bis es hinten raus kommt!" Aber er hat niemals jemandem etwas Böses getan.

DER BACKL ALWAN
Ein ganz besonderes Original war dieser Alwan aus Klingenthal. Auch dieser Mann ist viel mit den Fabrikanten ausgegangen. Das heisst, wie die Könige früher den Hofnarren brauchten, haben sie einen Mann zu verschiedenen Juxen gebraucht. Meist haben sie ihm Watschen gegeben, dafür dann bezahlt und zechfrei gehalten.

Deswegen hat er den Namen Backl Alwan erhalten - "Watschenmann". Der Beruf von Alwan war Senkgrubenreiniger, das heisst Klosettputzer oder Abortausputzer. Nun, es findet sich zu diesem Ge-schäft, wie es damals war, nicht so schnell jemand. Deshalb war dieser Beruf eine Ausnahme. Der Verdienst war nicht schlecht, aber anrüchig im wahrsten Sinne des Wortes. Der Alwan hatte auch einmal beim Doktor Finator in Brundöbra diese Tätigkeit vollbracht. Alwan verlangte dafür einen Preis, der dem Doktor zu hoch war. Er sagte: "Aber Alwan, das ist denn doch zuviel." Darauf der Alwan: "Herr Dokta, wenn Sie einer alten Frau hintenreiguckn, verlangen sie auch so viel." Der Doktor musste lachen und bezahlte den Backl. Dieser Ausspruch machte dann die Runde in der ganzen Umgebung. Es hat sich einmal zugetragen, dass der Alwan, als er nachts vom Gasthaus heimkehrte, einen be-kannten Prominenten in einer sehr verfänglichen Situation mit einer Frau antraf. Die Lage war so, dass Alwan einen Arzt holen musste, um zu helfen. Für Alwan war das ein gefundenes Fressen, über-all erzählte er diesen Vorfall. Natürlich war dem Betroffenen das sehr peinlich. Der Alwan wurde ver-klagt und verurteilt, wegen übler Nachrede. Was tat der Backl: Er erzählte weiter, aber nur in Bruchstücken. Man darf nicht einmal die Wahrheit sagen, sonst wird man eingesperrt. Hier kann man sehen, wie doch solche Menschen eine angeborene Schlauheit besitzen.

DER GROSSENHANSL
In Silberbach war eine Landwirtschaft, diese bewirtschafteten drei Geschwister: der Hansl, der Adolf und die Anna. Alle drei waren ledig. Die Anna führte den Haushalt. Der Adolf handelte meist mit Vo-gelhäuschen, er war viel auswärts in der Umgebung. Der Hansl, der die Landwirtschaft betrieb, hatte einen gewissen Ehrgeiz. Er wurde bei den hiesigen Prominenten, Doktoren, Lehrern, Geschäftsleuten aufgestachelt, dass er etwas besonderes sei. So gründeten diese Herren an einem Samstag im Gast-haus Baptist einen Rutschverein, der Hansl wurde zum Obmann erkoren. Dieser bildete sich darauf viel ein. Alle Samstage trafen sich dann die Mitglieder. Der Obmann, also der Hans, musste sich in der Gaststube auf den Boden setzen, die anderen hinter ihn. Dann fingen sie an, auf ihren Gesäßen in dem Zimmer herumzurutschen mit dem Gesang:

Adam saß im Paradies, Eva saß daneben, so rutsch ma halt trara, trara.

Wie es weiter ging - das Lied "zum Rutschen" - weiß ich nicht. der Hansl wurde einmal durch einen Zufall bekannt, dass er innere Ströme besitze. Es trug sich folgendes zu: Ein Mann blieb vor dem Grundstück des Hansl stehen, was diesem nicht gefiel. Nach der Aufforderung zu verschwinden, fiel dem Mann folgendes ein: "Hansl" sagte er, "ich kann nicht vom Fleck, Du hast mich festgemacht." Nach mehrerem Wiederholen glaubte der Hansl das selbst. Er fragte: "Nun, was soll ich denn ma-chen?" Der Mann sagte: "Mache mich nur los, sage Deinen Spruch." Der einfältige Hansl machte dar-auf "Tsch, tsch" und schwenkte die Arme.

Das sprach sich schnell herum. Von nun an hatte der Hansl viel zu tun. Selbst von Graslitz kamen ganze Trupps und gaben an, dass sie fest seien. Der Hansl machte immer "Tsch, tsch". Es kam auch vor, dass er einmal nicht aufgelegt war, dann sagte er: "Bleibt nur ruhig stehen." Bis diese dann bettel-ten, dann ließ er sich erweichen und machte sie los. Einmal passierte es, dass der Hansl nicht zu Hause war, es standen wieder einige Männer da und waren angeblich fest. Die Anna kam heraus und sagte: "Der Hansl ist ja gar nicht da". Die Männer: "Ja, Anna, do hast holt Du a Strom". Schließlich glaubte Anna das und machte ebenfalls "Tsch, tsch", siehe - es ging! Von nun an machte auch die Anna die Festgemachten los. Der andere Bruder Adolf durchschaute die Sache und schimpfte, dass sie so dumm sind und sich veralbern lassen. Aber das nützte nichts, sie glaubten fest daran. Bis eines Tages wir Jungen uns auf die Kirschenbäume des Hansl wagten. Der Hansl wollte uns ebenfalls fest-machen, wir aber kamen ohne weitere Anstrengungen von den Bäumen herunter und nahmen Reiß-aus. Da sagte der Hansl: "Für die verdammten Buum langt mein Strom nicht." Er glaubte weiter daran, dass er Strom besitze.

NOCH ETWAS ÜBER DEN TÖPPRTONL - von E. Günzl - ehem. Lehrer Schwaderbach
Der Töppr-Tonl war in Silberbach beheimatet. Er kam häufig, besonders gern aber im Sommer nach Schwaderbach. Auf dem klobigen Körper, der mit einem ziemlichen Bauch ausgestattet war, saß auf kurzem Hals ein rosiges, bartloses Kindergesicht, das aber leider nicht von Locken eingerahmt wurde, denn die fehlten dem Tonl vollständig; dafür setzte sich die rosige Farbe des Gesichtes harmonisch bis zum Scheitel fort. Stets hatte er eine blaue Schürze um, jedenfalls um seinen Arbeitswillen offen zu demonstrieren, nie trug er eine Kopfbedeckung und nur selten Schuhe.

Die bevorzugten Ziele seiner Wanderung nach Schwaderbach waren die Gasthäuser, deren es seit über zwanzig in Schwaderbach gab. Hier fanden seine geheimen Sehnsüchte Erfüllung, hier erhielt sein Lebenszweck den richtigen Inhalt, hier reichte man ihm den Nektar, der ihn alle Sorgen verges-sen ließ, nämlich - das Tropfbier. Die Wirtsleute hatten Mitleid mit den Nöten des Töppr-Tonl, und da sie durch die Bank fühlende Seelen waren, hoben sie sorgsam jeden Tropfen dieses kostbaren Stof-fes, entweder auf oder unter der Einschenke für ihren illustren Gast auf, der mindestens einmal in der Woche erschien und dieses "schäumende" Nass in Unmengen in sich hineingießen konnte. Es war wirklich unglaublich, welches Quantum von Tropfbier der Tonl trinken - nein, saufen konnte.

Dabei war der Tonl auch in anderer Beziehung ein Genie: Denn wenn ihn jemand fragte: "Töppr, wann ist denn Richard?", so konnte er prompt in wenigen Sekunden die Antwort erhalten: "Heute über 13 Wochen am 3. April." Oder: "Wann ist Christine?" "Die war vor 9 Wochen am 24. Juli." Und das frap-pierende an diesen Antworten war, dass sie immer stimmten.

Ja - der Tonl konnte nicht nur saufen! Wenn der Tonl in einem Gasthaus erschien, blieb er unter der Tür stehen, lehnte sich mit seinem Ellbogen an den Türpfosten, musterte mit einem Blick die anwe-senden Gäste und wartete dann geduldig, bis ihm der Wirt seinen Trunk in einem alten Emailgefäß kredenzte. Oft mache dann ein Gast die Bemerkung: "Töppr, es blitzt heit!", da hielt der Tonl plötzlich erschreckt im Trinken inne, warf einen scheuen Blick zur Tür hinaus und fragte: "Wo?" - "Am Asch-berg", war die Antwort, worauf der Tonl ruhig weiter trank, bis der letzte Tropfen in seiner Kehle ver-schwunden war. Das Blitzen bezog sich nämlich auf den auf der Streife befindlichen Gendarm. Nach damaliger Vorschrift mussten die Gendarmen ihre Patrouillengänge mit aufgepflanzten Bajonetten durchführen, die natürlich im Sonnenschein aufblitzten, was für viele, die die Bekanntschaft mit den Hütern der Ordnung scheuten, ein Warnzeichen war. Auch der Tonl ging diesen Leuten gern aus dem Wege, denn mancher, besonders wenn es ein "Neuer" war, hatte unseren lieben Tonl, des schalten Tropfbieres voll, schnarchend im Straßengraben gefunden und ihn dann wegen Vagabundage auf ein paar Stunden hinter Schwedische Gardinen gebracht.

Der Töppr-Tonl scheint auch ein Opfer des Ersten Weltkrieges geworden zu sein, denn nach dem Kriege habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die Not und dann das Fehlen seines Haupt-nahrungsmittels - des Tropfbieres - mögen ihn veranlasst haben, dieses irdische Jammertal zu verlas-sen.


WEITERE ORIGINALE AM RANDE ERWÄHNT
In Graslitz waren noch einige solcher Typen, so der Pfaadreck-Karl. Das war ein Italiener, er war mit dem Eisenbahnbau von Falkenau bis Graslitz gekommen. Nach Fertigstellung des Bahnbaus blieb er hier hängen. Er war Insasse des Armenhauses, und lebte von der Straßenreinigung. Damals gab es noch den Hafermotor, das Pferd. Was diese Pferde in den Straßen fallen ließen, das putzte der Karl auf. Davon der Name "Pfaadreck-Karl". Er wurde auch Karl Träne gerufen, warum dieses Wort, weiss ich nicht. Der Karl lief immer mit Hadern an den Füßen herum, bekannt als richtige Original. Er war gutmütig, nahm auch kleine Spenden an.

Dann war noch der Schiffchenmayer. Ein Säufer, das war dieser Mann, aber nicht immer. Er war früher ein sehr guter Schifflsticker. Es kam dann öfters vor, dass er montags blau machte und zum Schnaps-Kohn ging, hier trafen sich die Schnapstrinker. Mayer gewöhnte sich daran und konnte dann nicht mehr arbeiten, er vertrank, was er geschenkt bekam und trieb sich in der Stadt herum, zum Gaudium der Jungen, welche ihm zuriefen: "Mayer Schiffchen", auf seine Tätigkeit als Sticker anspie-lend. Mayer schimpfte dann solange, bis sich die Polizei einschaltete.

Weiter war im Versorgungshaus noch der Hup-Alis. Dieser Mann hatte den Tick, dass er Papierfetzen aufhob, sie bespuckte und in die Tasche steckte oder auch Steine. Die Leute riefen: "Alis, hup!" Dann hüpfte er einmal mit beiden Beinen hoch, dafür bekam er einen Kreuzer oder sonst ein kleines Ge-schenk.

Auch der Kansten war stadtbekannt. Er hieß eigentlich mit dem Spitznamen Tschampertonl. Aber er hatte einen Sprachfehler, so dass er durch die Nase nuschelte. Wenn er sagen wollte, kannst Du das tun, so lautete es: "Kanst den dan". Auch er ärgerte sich, wenn die Kinder das riefen. Seine Tätigkeit bestand aus Botengängen. Am meisten war er bei dem Buchdrucker Schidlo beschäftigt, dessen Ka-lender er verkaufte. Darauf bildete er sich viel ein.

Auch das Tschannerl war so etwas wie ein Original. Das war auch ein Quartaltrinker, oft stockbesof-fen und gröhlte in der Stadt herum, dann kam der Zweckseff und wollte ihn einsperren, aber so leicht ging das nicht. Tschannerl legte sich einfach auf die Straße und der Zweck wollte ihn aufheben, dabei lagen oft beide am Boden. Es mussten andere zu Hilfe kommen. Des Öfteren habe ich das beobach-tet.

Damit wäre das Kapitel über die Originale noch nicht erschöpft, aber was zu viel ist, ist zu viel. All diese Menschen waren eher zu bedauern, als zu belachen. Die damalige Zeit war schuld an diesen Auswüchsen. Es gibt viele Gründe dafür. Ich will es dahingestellt sein las-sen. Es würde zu weit führen, dies zu untersuchen. Jede Zeit hat ihre guten und schlechten Sieten. Ich glaube aber, die Menschen war damals doch glücklicher und zufriedener als heu-te.

Emil Sattler, Adolf Lienert, E. Günzl - zurechtgerückt von Benjamin Hochmuth