WEIHNACHTEN AM SCHWOCHER-HOF

von Adolf Fischer (Fischer Dolf - Schwocher)

Wenn man überall Vorbereitungen auf das Christifest trifft, dann eilen öfter als sonst unsere Gedanken dorthin, wo man aufwuchs. Kindheit und Jugend werden lebendig.

Nur noch wenige Steinreste an der Stelle, wo einst mein liebes Elternhaus, der "Schwocherhof" stand, sind die letzten Zeugen früheren Lebens. Es war ein Erzgebirgs-Bauernhaus, aus Stein erbaut und mit Grauschiefer gedeckt. Das Besitztum lag in der Mitte des herrlichen Silberbachtales am Weg nach Obersilberbach und galt als eine der größten Landwirtschaften mit Wald, Wiesen und Feldern in der ganzen Umgebung. Heute wuchern Brombeersträucher aus den Mauerresten und über die Felder dringen Gestrüpp und angeflogener Wald vor. Ein Beutel voll Erde, den mir ein entfernter Verwandter, der Schmiemoister-Pepp im August dieses Jahres von dort zukommen ließ, ist alles, was ich an Greifbarem davon noch besitze. Einen Teil dieser Heimaterde verstreute ich Allerheiligen auf die Gräber meiner Eltern, die hier ihre Ruhe fanden. Aber in der vorweihnachtlichen Zeit träume ich Tag und Nacht von unserem Stammhof, werden Erinnerungen besonders an den Heiligabend wach, wie man ihn daheim mit Großeltern, Vater, Mutter und Geschwistern durch drei Jahrzehnte in überlieferter Form beging. Draußen lag meist tiefer Schnee, alle lebten in der Vorfreude aufs "Bornkindl" und in der Stube stand im Mittelpunkt für uns Kinder, wobei wir mithelfen durften der

 

KRIPPENBAU
Mein Vater brachte den vom Plattenberg geholten "Must" (Moos) ans Tageslicht, den er im "Kellerheisl" vor Eintritt des Winters eingelagert hatte. Er sorgte mit Großvater stets für großen Vorrat, denn man polsterte damit auch am Fensterstock die Doppelfenster aus, zugleich Schmuck und Schutz gegen das Eindringen der Kälte von außen. Am schönsten nahm sich das kräftige Grün auf der Krippe aus.

Das Aufbauen der Krippe bedeutete jedes Jahr für uns ein Erlebnis. Großvater und Vater hatten sie selbst gebastelt. Die kunstvoll aus Lindenholz geschnitzten Figuren fanden unser besonderes Augenmerk. Die Krippe wurde in einer Länge von zwei Metern und entsprechender Breite über dem Kanapee angebracht. Wie freuten wir uns, wenn wir aus der großen Holzkiste, die vom "Grummet"-Boden herabgeholt wurde, wo sie seit der letzten Lichtmess stand, die Figuren herausnehmen konnten. Vorsichtig mussten wir sie mit alten Zahnbürsten entstauben. Dann entfernten wir die "Dångeln" (Fichtennadeln) aus dem Moos und breiteten die federnden Polster auf der Ofenbank und am Tisch aus, bis sie auf die zugeschnittenen und zusammengefugten Bretter, die Vater mit Papier abdeckte, auf entsprechenden Unterbauten zu einer ansteigenden Landschaft gestaltet wurden. Auch der Aufbau der Stadt vollzog sich nach überlieferter Gewohnheit. Zunächst kam Jerusalem mit dem Palast des Herodes an die Reihe, dann die Felsen, für die man alte Wurzeln zurechtgerichtet hatte. Schließlich steckte man die Bäume und endlich die Figuren ins Moos. Der Reihe nach reichten wir Kinder dem Vater die einzelnen Teile, der genau wusste, wohin er sie zu stecken oder stellen hatte. Die Mitte nahmen natürlich Maria mit Josef, das Jesukind, Esel und Rind ein. Das war schließlich die Hauptsache. Auch die einzelnen Schäfchen hatten ihren bestimmten Platz, ebenso wie die Hirten und andere Gestalten. Zuletzt streute der Vater mit Sägemehl die Wege und brachte den Engel schwebend über dem Stall und das samtene Krippenband um den Brettrand der Krippe an. Fertig war erst alles, wenn die Kerzenhalter eingeschraubt und der "Messingluster" an der "Eweling" hing.

 

IM HAUSE SELBST
schien jedermann mit irgendeiner Arbeit beschäftigt und alle waren aufgeregt. Die Eltern und Großeltern hatten alles für den Heiligabend "in Mårkt drinna" beim Hlawatsch oder im Ort selbst eingekauft, auch die Geschenke, die man mit dem Christstollen im "Archer" (Erker) "verheimlichte".

Diese Stube sperrte man ab, denn niemand durfte sehen, was sich da abspielte. Geheimnisvoll gings überall zu. Doch die Neugierde ließ uns keine Ruhe und oft lugten wir durchs Schlüsselloch, das aber Mutter zuhing, als sie es bemerkte.

Ein besonderes Erlebnis war am Vortag des Heiligabends das Abholen der Christstollen mit dem Schlitten beim "Proster Karl", unserem Bäcker. Dabei wurde uns oft eine Kostprobe verabreicht. Karpfen und Weihnachtsgans waren auch meist schon im Hause. So konnte der Heiligabend anbrechen, der schönste Tag im Jahr.

Wie staunten und schauten wir Kinder am 1. Feiertagsmorgen, als der "Zuckerbaum" in Glanz und Pracht dastand! Vater und Mutter hatten ihn bei Nacht "angeputzt", während wir Kinder schliefen. Später, als wir größer waren, halfen wir am Vormittag des Heiligabends beim Schmücken des Baumes mit, wobei so manche Glaskugel "flöten" ging, ein Anlass mehr für Mutter zum Schimpfen. Manchmal wurde auch schnell etwas genascht, denn es baumelten verschiedene Süßigkeiten von den Ästen, auch Äpfel und in Papiersäckchen gehüllte Nüsse. Zu Mittag gab es Wassersuppe und "Erdäppel". Es war ein strenger Fasttag. Am Nachmittag badete man und alles zog sich sonntäglich an. Um 5 Uhr schlossen alle Läden und man sah draußen fast niemand mehr. Alles blieb im Hause. Militär-Urlauber und Fachkräfte, die auswärts arbeiteten, waren bereits heimgekehrt. Der

HEILIGABEND
vereinigte die ganze Familie. Mein Vater begann früher als sonst den Stall zu versorgen und das Vieh zu füttern, das an diesem Festtag kräftigeres Futter bekam, nämlich Haferstroh mit Körnern drin und besseres "Angemischtes". Mutter und Großmutter beschäftigten sich emsig mit dem Herstellen der Leckerbissen für die Hauptmahlzeit am Abend. Es gab nach altem Brauch neunerlei Speisen. Wie gut mundete vorher ein Stück Wasser-"Götzn" oder ein Stückchen gebratener Fisch! Wir waren als Kinder recht "glustend", aber Großmutter sah es nicht gern. Vor dem Essen brachte Vater noch ausgestäubtes Stroh ins Haus und breitete es auf der mit Sand weißgescheuerten Diele aus. Es sollte daran erinnern, dass der Heiland auf Stroh zur Welt kam. Wie schön war es für uns Kinder, sich darin nach dem Essen herumkugeln zu können. - Dann wurde im ganzen Haus "Licht gemacht", auch im Stall und das Vieh durch den Großvater eingeladen. Bevor man sich aber so um 6 Uhr zum Essen setzte, wurde immer gebetet und der Verstorbenen gedacht. Vorher zündete man die Kerzen in den Krippenleuchtern und am "Zuckerbaum" an. Nun konnte es endlich an das außergewöhnliche Essen gehen. Nach einer guten Suppe folgte der übliche Stockfisch oder gebratener Karpfen mit allerlei Salaten und verschiedenem Kompott. Zum Schluss kam nach alter Sitte noch eine Schüssel mit Semelå un Milch" auf den Tisch, aus der dann die guten "Prosterzöppla" eingeweicht in kalte Milch herausgelöffelt wurden.

Nach dem Essen setzten wir Kinder uns zum Großvater auf das Kanapee neben dem Christbaum. Da begann das Geschichtenerzählen. Wir lernten das Gruseln in der hl. Nacht und hörten vom "Horchengehen" und den Unternächten. Wenn die Mutter mit dem "Aufspülen" fertig war, wurden Weihnachtslieder gesungen, die ich auf der Geige mitspielte. Dies hatte mir der alte Raspel und sein Sohn beigebracht. Später sangen wir drei Geschwister unserer Mutter auch Weihnachtslieder mehrstimmig vor, ein Erfolg unserer Mitwirkung im Kirchenchor. So zog sich die Zeit hin bis zur

CHRISTMETTE
Erst als Ministrant, später als Sänger und Musiker erlebten meine Lieben und ich fast zwei Stunden lang diesen nächtlichen Gottesdienst. Wie herrlich klangen das "Christus venatus" und "Venite adoremus" das "Transeamus" von Schnabel und die "Christnacht" mit dem Wiesner Gustl als Solosänger.

Alles lauschte dem Gesang und der Musik mit den Flötensoli von Ullmann und Poppa Rudi, den Klarinettensoli vom Poppa Karl und den übrigen uns noch bekannten Musikern unter der bewährten Leitung von Oberlehrer Klier. Bis zu 14 Mann stark musizierten sie bei Hochämtern! Aber in der Mette gaben sie ihr Bestes. Beim Erklingen von "Sei gegrüßt in dunkler Nacht!" und "Stille Nacht, heilige Nacht!" empfanden auch die rauhesten Männer etwas von dem tiefen Frieden dieser Stunde. Stapften die Mettengänger im tiefen Schnee mit ihren Laternen wieder ihren Häusern zu - wer kann diese Erlebnisse und Bilder vergessen

 

DIE BESCHERUNG
fand zu Hause am 1. Feiertagfrüh statt. Als Kinder konnten wir es kaum erwarten, bis es klingelte. Immer wieder lugten wir - an Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken - durch den Vorhang der Kammer, bis der Augenblick endlich da war. Wie freuten wir uns über unsere einfachen Spielsachen und Geschenke! Wie waren wir zufrieden!

Mein Großvater ließ es sich nicht nehmen, trotz Mette schon um vier Uhr früh nach Schönau Wallfahrten zu gehen, was er erst über 80 aufgab. Wir Jungen besuchten um 8 Uhr das Hirtenamt mit Kommunion und später das Hochamt. Nach dem Gottesdienst folgte das "Feiertoch-Wünschen", das sich meistens bis Mittag hinzog. Inzwischen wartete daheim schon die Feiertagsgans, schön braun und knusprig gebraten, auf ihre Verzehrer.

Am Nachmittag blieb man meist bei der Familie daheim. Paten brachten hier und da schon am 1. Feiertag, aber die meisten erst am 2. Feiertag ihren Patenkindern die Geschenke. Am Abend besuchte man beim Proster (Wawor) oder "Danö" (Riedl-Saal - Platz des heutigen Skilifts) eine Weihnachtsaufführung, Schauturnen oder Konzert. Am 2. Feiertag wurden nach der Kirche oder nach dem Mittagessen oft Ski-Ausflüge auf den Bleiberg und Aschberg unternommen

 

VETTER ELIAS
trat Weihnachten am "Schwocherhof" nie ein, ohne dass er folgenden Spruch aufsagte: "Ich wünsche Eich glückselige Feiertoch zan neigeborenen Heiland: a Schtu(b)m volla Kinna, an Bu(r)n volla Körner, an Schtall volla Hörner, an Sack volla Geld, dass 's uhm rausfällt!" - Ich schließe mich seinen Wünschen für alle Landsleute an.


Dolf Fischer (Schwocher)